Basisdemokratie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen und Konzepte der direkten Demokratie. Ziel dabei ist es, die Trennung zwischen Regierenden und Regierten aufzuheben und diese durch umfassende direkte Teilhabe an Willensbildungsprozessen zu ersetzen. In der Reinform kommt Basisdemokratie ohne Repräsentanten aus, weil alle relevanten Entscheidungen von allen Menschen durch unmittelbare Beteiligung getroffen werden.
Aber haben wir nicht schon eine funktionierende Demokratie in Deutschland? Heißt es nicht im deutschen Grundgesetz, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht? Zitat: “Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt.”. Ist damit nicht das Prinzip der Demokratie in ihrem Wortsinne, nämlich die Herrschaft des Volkes (griechisch demos = das Volk, kratos = Herrschaft), hinreichend verwirklicht?
Nur indirekt. Der Unterschied zur direkten Demokratie besteht darin, dass die Aufgabe der Lösungs- und Entscheidungsfindung nicht vom Volk direkt, sondern von Repräsentanten wahrgenommen wird. Die Gewalt geht also nur insofern vom Volke aus, als dieses Repräsentanten für die Dauer einer Legislaturperiode (auf Bundesebene vier Jahre) wählt, die diese Aufgabe stellvertretend für sie ausüben. Dementsprechend wird die bestehende Herrschaftsorganisation in Deutschland als repräsentative Demokratie bezeichnet.
Während der laufenden Legislaturperiode hat das Volk kaum eine Möglichkeit, auf die Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen. Das Recht zur Gesetzesinitiative ist der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat vorbehalten. Für das Volk gibt es auf Bundesebene zurzeit kein Initiativrecht. Das Volk hat auch keine Möglichkeit, durch Referenden die Politik in Sachfragen zu korrigieren. Um es deutlich zu sagen: Derzeit beschränkt sich die im deutschen Grundgesetz zugesicherte Mitsprache lediglich auf das Wählen von Repräsentanten, was auf Bundesebene eben nur alle vier Jahre stattfindet.
Mit der Abgabe der Wählerstimme endet das Mitspracherecht des Bürgers für die Dauer der folgenden Legislaturperiode. Er hat fortan keine Möglichkeit, an der Gesetzgebung aktiv mitzuwirken. Das bedeutet, dass die derzeitige Beschaffenheit der repräsentativen Demokratie auf eine vollständige Machtabgabe ohne verbindliches Mitspracherecht hinausläuft, wenngleich die verliehende Macht zeitlich begrenzt ist. Dadurch wird die Möglichkeit der wirksamen gesellschaftlichen Selbstorganisation eingeschränkt.
Von diesem Standpunkt aus gesehen darf man sich durchaus die Frage stellen, inwieweit die in Deutschland etablierte repräsentative Demokratie der ursprünglichen Idee der Demokratie, also der Herrschaft des Volkes, überhaupt gerecht wird.
Aber sind denn nicht die Parteien bestrebt, den Willen des Volkes zu ermitteln und ihn auszuführen? Und setzt nicht das Volk dadurch, dass es sich für eine bestimmte Partei entscheidet, bereits die von der Politik aufzugreifenden Themen?
Nicht ganz. Bürger sind, soweit sie auf das Wählen nicht gleich ganz verzichten, gezwungen, sich für das ‘Komplettpaket’ einer Partei zu entscheiden. Nach der Wahl bleibt ihnen nur noch zu hoffen, dass die von ihnen gewählte Partei ausreichend Stimmen erhält, und falls ja, dass die von ihnen favorisierten Themen aufgegriffen und in ihrem Sinne entschieden werden.
Eine unmittelbare themenbezogene Teilnahme an der politischen Willensbildung ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Das bestehende Parteiensystem stellt somit eine weitere Abstraktionsebene dar, die die Bürger von der direkten Beteiligung an der Lösung der von ihnen favorisierten Themen nach der Wahl ausschließt.
Darüber hinaus müssen Parteien häufig koalieren, um eine stabile Regierung zu bilden, da in politischen Systemen mit Verhältniswahlrecht nur relativ selten eine absolute Mehrheit der Abgeordneten im Parlament erreicht wird. Koalitionen aber gehen i. d. R. mit Abstrichen ideeller Parteiziele und dem Schließen unbefriedigender Kompromisse einher. Zum einen müssen sich die Parteien bei den Koalitionsverhandlungen auf eine gemeinsame Linie einigen, anderseits führt diese Ausgangslage jedoch unausweichlich zu einem indirekten Koalitionszwang, der dem Prinzip des freien Mandats entgegen steht.
Aber setzen sich die Politiker im Parlament denn nicht zusammen und erarbeiten gemeinsam die besten Lösungen für unsere Probleme?
Wenn es denn so wäre… Der Kardinalfehler unseres politischen Systems ist, dass sich die Parteien in einem ständigen Wettstreit miteinander befinden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Mehrheit. Die Partei, welche diese hinter sich versammeln kann, stellt die Regierung und bestimmt dadurch im Wesentlichen das politische Geschehen. Dies bezeichnet man als Mehrheits- bzw. Konkurrenzdemokratie.
Konkurrenzdemokratie hat nur eine sehr geringe Fähigkeit, Konflikte zu lösen und dauerhaft tragfähige Entscheidungen hervorzubringen, denn das Konkurrenz-Prinzip steht einem Miteinander bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung entgegen.
So besteht in einem von Konkurrenz geprägten System das vorrangige Ziel der politischen Opposition automatisch darin, zur Regierung zu werden. Dieser Umstand motiviert die Oppositionsparteien nicht sonderlich dazu, zur Entwicklung der besten Lösung mit den Regierungsparteien zusammenzuarbeiten und einen Konsens anzustreben.
Die Hauptbestrebungen einer jeden Partei bestehen darin, sich gegen ihre Mitbewerber durchzusetzen. Dazu ist es nötig, sich von anderen Parteien abzugrenzen und die eigenen Alleinstellungsmerkmale hervorzuheben. Die Aktivitäten der Parteien konzentrieren sich schon allein aus strategischen Beweggründen darauf, die eigenen Lösungsvorschläge zu forcieren und die ihrer Mitbewerber abzuwerten oder kategorisch abzulehnen.
Ein Großteil der Energie wird so in das Austragen von Konflikten anstatt in die Ausarbeitung guter Entscheidungen investiert, weshalb vor allem Kritiker auch von einer Konfliktdemokratie sprechen. Was bei diesem Wettbewerb völlig aus dem Blick gerät, ist der eigentliche Zweck der Politik, nämlich dauerhafte Lösungen mit größtmöglicher Akzeptanz in der Bevölkerung zu erarbeiten. Diese ‘Konliktdemokratie’ ist systembedingt. Sie verhindert das Finden konsensnaher Lösungen, in die die Beiträge aller Beteiligten einfließen könnten.
Aber muss es in der Demokratie denn nicht Streit um die beste Lösung geben, die sich dann gegen die anderen durchsetzt? Es muss doch einen Gewinner geben, der die Richtung vorgibt.
Vielleicht wird am Beispiel aus dem Kindergarten deutlich, was gemeint ist. Dort können Kinder sowohl Konkurrenz-, als auch Kooperationsspiele spielen.
Konkurrenzspiele sind eine am Wettkampf ausgerichtete Spielform, bei der Siegen und Verlieren den Spielgedanken bestimmen. Kinder, die den Anforderungen in einer Disziplin nicht gewachsen sind und daher scheitern müssen, verlieren bei solchen Spielen schnell das Interesse und haben keine Lust, weiter mitzuspielen. Bei Kooperationsspielen hingegen gibt es keinen expliziten Gewinner oder Verlierer, sondern alle Mitspieler spielen miteinander und verfolgen das Ziel, gemeinsam zu gewinnen. Hier ist der Konkurrenzgedanke sogar kontraproduktiv. Denn es geht hierbei eben nicht darum, der Beste zu sein und die anderen hinter sich zu lassen, sondern darum, möglichst effizient und effektiv zusammenzuarbeiten. Dabei kommt es darauf an, dass jeder seinen Platz in der Gruppe findet, bei dem er sich einbringen kann.
Für das Erreichen gemeinsam gesetzter Ziele ist die Kooperation dem Konkurrenzkampf überlegen.
Das Konkurrenz-Prinzip hat seine Daseinsberechtigung und seine Vorteile, z. B. in der Wirtschaft. Aber im Bemühen um das Gemeinwohl hat der Konkurrenzgedanke nichts verloren. Leider wird er als Mittel zur politischen Willensbildung angewendet, obwohl die erarbeiteten Entscheidungen am Ende alle Bürger betreffen.
Der Konkurrengedanke verursacht einen Selektionsdruck in der Politik, bei dem sich am Ende tendenziell die rücksichtslosesten und empathieschwächsten Charaktere behaupten. So konnte man es jedenfalls in der politischen Praxis der letzten Jahre beobachten. Der Fokus hat sich vom Bemühen um das Gemeinwohl weg, hin zu persönlichen Zielen verschoben, die von Macht- und Karrierebestrebungen bestimmt sind.
Politik mag vielen Menschen als ein weites und schwer zu durchdringendes Feld erscheinen, doch handelt es sich hier um einen Kardinalfehler den jeder leicht erkennen kann, auch wenn er nicht Politikwissenschaften studiert hat.
Fazit
Aus all den oben genannten Gründen halten wir das gegenwärtige System der repräsentativen Demokratie für dringend reformbedürftig. Die Konkurrenzdemokratie, wie sie sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Lauf der Jahre und Jahrzehnte entwickelt und etabliert hat, sollte unserer Ansicht nach in eine Konsensdemokratie umgewandelt werden, in der das Gemeinwohl oberste Staatsdoktin ist.
Zugunsten von dauerhaften Lösungen mit größtmöglicher Akzeptanz streben wir ein kooperatives, konsensorientiertes Modell an. Die Konkordanzdemokratie (lat. Concordantia = Übereinstimmung) der Schweiz und das dort existierende Initiativrecht beweisen die Praxistauglichkeit echter Bürgerbeteiligung und können für unser Land ein erster Schritt in Richtung Basisdemokratie sein.