Alter ‚revolutionärer‘ Kampfgeist wiederentdeckt – Grüne und Linke gegen Werbekampagne für A 20

Persönlicher Bericht zur Sitzung des Kreistages am 17.07.2024

Lag es an der drückenden Wärme und der stehenden Luft im Ratssitzungssaal des Rathauses Pinneberg oder an der Brisanz des Themas? Was war der Grund für die mehr als lebhafte Diskussion, die sich an Tagesordnungspunkt Ö 18, Beitritt des Kreises Pinneberg zur Kampagne „A 20 – das wird gut“, entspann?

Tatsächlich gab es auf Seiten der Grünen-Fraktion aber auch der Abgeordneten der Linken, Karin Kunkel, Redebedarf. Die Argumente ließen den alten Kampfgeist besonders der Grünen aus früheren, besseren Tagen aufblitzen, als diese Partei gegen die Stationierung von Pershing II, die Endlagerung radioaktiven Abfalls aus der Atomenergie oder gegen die berühmt-berüchtigte Startbahn West am Flughafen in Frankfurt/Main Tausende Demonstranten auf die Straße brachte. Jeden grünen Grashalm verteidigte man mit Leidenschaft und wetterte erbost gegen die Versiegelung der Landschaft und ihre rücksichtslose Betonierung für den vorgeblichen Fortschritt.

Dieser alte Kampfgeist war in der Sitzung des Kreistags am vergangenen Mittwoch zum Leben erwacht. Vorbei die seit Jahren zu beobachtende, routinierte, staatstragende Behäbigkeit einer Partei, die die Schwere des Amtes an den Schalthebeln der Macht nach außen verkörperte.

Dabei ging es um einen vergleichsweise geringfügigen Beschluss: „Der Kreis Pinneberg schließt sich der Kampagne ‚A 20 – das wird gut‘ der Industrie- und Handelskammern an und tritt in Form eines Logopartners als Unterstützer der Kampagne auf.“ Konkret will man ein Logo auf der Webseite platzieren. Zudem werden Sponsorenpakete angeboten. – Das ist alles.

Ursprünglich war das Projekt A 20 ein „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE)“ nach dem Fall der Mauer. West und Ost sollten auch wirtschaftlich zusammenwachsen. Der erste Spatenstich erfolgte im Dezember 1992 durch den damaligen Bundesminister für Verkehr, Günther Krause. Seitdem sind vor allem in Mecklenburg-Vorpommern die größten zusammenhängenden Abschnitte fertiggestellt worden (nachfolgende Karte).

Quelle: Wikipedia, eigener Screenshot

In der Diskussion war von Helmuth Jahnke (SPD-Fraktion) zu erfahren, dass die Landesregierung Schleswig-Holsteins, die bekanntlich aus der Koalition von CDU und den Grünen besteht, zwar von der baldigen Fortführung des Projekts spreche, insgesamt aber sich zögerlich verhalte. Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) erwartet „eine Fertigstellung der A 20 bis zur Elbe noch bis 2030“, jedoch wird das nicht realisierbar sein, da „noch nicht einmal für alle Abschnitte die endgültigen Planfeststellungsverfahren eingeleitet wurden“. – Wikipedia

Aus den Äußerungen der Abgeordneten der Grünen wurde ein weiterer vermutlicher Grund für diese Zögerlichkeit der Landesregierung ersichtlich: Im Grunde ihres Herzens lehnen sie das ganze Projekt ab. Zwar betonte Lukas Unger, man sei nicht generell gegen das Projekt, jedoch müssten Umweltaspekte viel stärkere Berücksichtigung finden. Auch stehe das gesellschaftliche Klima insgesamt gegen solche Bauprojekte, die in der Summe kaum wirtschaftlichen Nutzen brächten und Ressourcen bänden, die andernorts wesentlich nützlicher eingesetzt würden.

Die Möglichkeiten des Planeten seien nicht unbegrenzt, Moore würden durch das „Überschüttverfahren“ nicht wirklich geschützt. Tatsächlich würden sie ja überbaut und ihre Funktion als CO2-Senke sei dadurch erschwert.

Dass die IHK sich positiv gegenüber dem Ausbau der A 20 äußere, sei nachvollziehbar, schließlich sei sie Lobbyist der Wirtschaft und argumentiere aus dieser Perspektive. Man dürfe aber nicht allein aus Sicht der IHK argumentieren, sondern müsse auch alle anderen Sichtweisen mit einbeziehen.

Der Kampagne stimme man jedenfalls nicht zu.

In das gleiche Horn stieß Karin Kunkel, fraktionslose Abgeordnete der Linken. Neue Fernstraßen verursachten höhere CO2-Emissionen, die A 20 zerschneide die Moore, die wertvolle CO2-Senken seien. Jeder zusätzliche Kilometer Straße verursache zusätzlichen Verkehr und erhöhe die Emissionen. Derweil schreite die Klimakatastrophe unaufhaltsam voran. „Wir sind nur Gast auf diesem Planeten, er gehört uns nicht“, so Kunkel. Man müsse vielmehr die Bahn ausbauen und Verkehr auf die Schiene lenken. Insgesamt müsse man auch an die Zukunft der Kinder denken.

Helmuth Jahnke (SPD-Fraktion) lobte diese Eindeutigkeit des Standpunktes, etwas, das er bei der Einlassung Lukas Ungers (Grüne) vermisst hatte.

Seit 2012 sei in Schleswig-Holstein kein einziger Kilometer Autobahn hinzugekommen, es müsse nun endlich vorangehen.

Dem schloss sich die FDP-Fraktion an und betonte vor allem die günstigen Folgewirkungen für die Wirtschaft. Auch widersprach man dem Vorwurf Ungers, die IHK blicke einseitig auf das Projekt. Tatsächlich seien auf deren Webseite auch die problematischen Aspekte erwähnt und es würden Lösungsansätze präsentiert.

Dann sprach Mathias Schmitz (Grüne), seines Zeichens Vorsitzender des Umweltausschusses. Politik sei die Abwägung aller Interessen. Er sei für den Weiterbau der A 20, allerdings nur bis zur A 7. Ob ein Weiterbau der A 20 darüber hinaus erforderlich sei, stellte Schmitz infrage. Tatsächlich seien andere nicht minder dringende Bauprojekte bislang liegen geblieben, so zum Beispiel die Erneuerung der Köhlbrandbrücke. Sanierungen bereits vorhandener Straßen und Brücken seien wichtiger als der Neubau von Autobahnen. Schmitz verwies hierbei auf die Problematik am Brenner; das sei von Dobrindt und Scheuer (beide CSU) als damalige Bundes-Verkehrsminister verschlafen worden.

Der ÖPNV sei unterfinanziert, die A 7 habe notorisch Probleme – Schmitz sprach vom nötigen Ausbau der 3. Spur. Er sei auch durchaus für Geschwindigkeitsbegrenzungen, dies helfe bei der Entzerrung von starken Verkehrsaufkommen. Es müsse gefragt werden, wie die Mobilität der Zukunft aussehen solle. In dem Zusammenhang stelle sich auch die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der A 20. Hier müssten endlich Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden.

Die einseitige Betrachtung des Verkehrs im Hinblick auf das Auto helfe nicht, das Mobilitätsproblem zu lösen. Mit dem bloßen Bau von Autobahnen werde auch das Stauproblem nicht gelöst. Überhaupt sieht Schmitz den Individualverkehr mit dem Auto kritisch. Die meiste Zeit stünden Autos in der Landschaft herum und nähmen unnötig viel Raum ein. Es selbst wohne in Schenefeld und sei mit den Rad schneller in Hamburg als ein Autofahrer, der dort erst einmal noch sehr lange nach einem Parkplatz suchen müsse.

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Hier war er wieder: der alte Reflex der Grünen gegen das Auto, den Individualverkehr, die Freiheit der Bürger, ihr Verkehrsmittel selbst zu wählen. Die jahrzehntealten Ressentiments der Grünen gegen diese Umweltverpester, Tiermördermaschinen, Verursacher vieler Verkehrstoter und Staus, weil ihrer zu viele geworden sind, flammten in Schmitz’ Rede wieder auf. Als stünde einer der alten Kämpen des Straßenkampfes gegen Startbahn West, Kernernergie und Streiter für saubere, grüne, verkehrsberuhigte, ergo: autofreie Innenstädte im olivgrünen Parka der achtziger Jahre erneut leibhaftig vor uns, erging Schmitz sich geradezu leidenschaftlich in seinem Redebeitrag und schien von diesem Kampf neu belebt zu sein.

Inzwischen aber ist die Zeit darüber hinweggegangen. Man blickt nüchterner auf das, was es in Sachen Verkehr, individueller Mobilität und dem Transport von Gütern im Nah- und Fernverkehr zu regeln und zu ermöglichen gilt.

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Torsten Hauwetter (CDU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, stellte lakonisch fest, heute gehe es nicht um den Brenner, sondern um die A 20, man solle daher nicht Sachen zusammenmischen, die nicht zusammengehören. Angesichts der positiven Folgewirkungen für die Wirtschaft lud er alle Abgeordneten ein, der Beschlussvorlage zuzustimmen, damit die A 20 endlich fertiggestellt wird.

Dem stimmten zwei weitere Redner der FDP und SPD zu, die betonten, man solle nicht den Ausbau des nördlichen Schienennetzes auf 4 Gleise gegen den Bau der A 20 in Stellung bringen. Man habe verlernt, das Sowohl-als-auch zu denken, verharre stattdessen zu oft im Entweder-oder.

Nach einer sehr ausführlichen Debatte stimmten schließlich alle Fraktionen – mit Ausnahme der Grünen und der beiden Abgeordneten der Linken, die dagegen votierten – der Beschlussvorlage zu.

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Die für mich überraschend zeitaufwändige Diskussion um die Werbekampagne für eine Autobahn nahm an diesem Abend den breitesten Raum ein. Dabei gerieten die Wahlen zu den Ausschussvorsitzenden bzw. stellvertretenden Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses und des Ausschusses für Schule, Kultur und Sport beinahe zur Nebensache. Und dies, obwohl der Kreispräsident, Helmuth Ahrens (CDU), nach Gesprächen im Ältestenrat und einigem Ringen mit sich selbst Burghard Schalhorn (AfD-Fraktion) Gelegenheit gab, zu seiner Kandidatur für das Amt des Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses „einen Satz“ zu sagen.

Schalhorn hielt sich daran und stellte fest, dass Angaben zu seiner Person zu machen, hieße, „Eulen nach Athen zu tragen“, worauf er hier und heute verzichtete.

Der Kandidat für das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Schule, Kultur und Sport, Lars Ole Carstens (AfD-Fraktion), verzichtete auf seine Rede. Ahrens nahm an dieser Stelle Gelegenheit, zu verkünden, keinen weiteren Wahlgang in diesen Personalien mehr anzuberaumen, da nicht davon auszugehen sei, dass sich an den Stimmergebnissen Wesentliches verändern werde. Daraufhin gab Volkher Steinhaus, Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion bekannt, künftig auf weitere Wahlgänge verzichten zu wollen.

Nun, das Ergebnis bestätigte auch an diesem Tag die realistische Einschätzung des Kreispräsidenten.

  • Für Burghard Schalhorn stimmten 8 Abgeordnete mit Ja, 45 mit Nein und 3 enthielten sich.
  • Für Lars Ole Carstens stimmten 8 Abgeordnete mit Ja, 43 mit Nein und 5 enthielten sich.

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Zuvor wurden die ehrenamtlichen Richter am Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein en bloc einstimmig gewählt.

Gleiches auch bei der Neuwahl eines Mitgliedes sowie eines stellvertretenden Mitgliedes in den Kreisseniorenbeirat. Hier wurde die entsprechende Beschlussvorlage angenommen. Damit waren als neues Mitglied Birgit Lührs und als stellvertretendes Mitglied Irmhild Biegus in den Kreisseniorenbeirat gewählt.

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Ebenfalls en bloc wurde über die Neu- und Umbesetzung folgender Ausschüsse abgestimmt:

  • Hauptausschuss
  • Umweltausschuss
  • Jugendhilfeausschuss

Hierzu gab es die folgenden Anträge:

Über den Antrag der CDU-Fraktion zur Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses gab es einen Antrag der AfD-Fraktion auf geheime Wahl.

Ergebnis: 52 Ja-Stimmen, 1 Nein-Stimme, 3 Enthaltungen.

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Die übrigen Tagesordnungspunkte (bis Ö 20) wurden angenommen (Ö 7, Ö 13, Ö 14, Ö 15, Ö 19, Variante A, Ö 20, zur Kenntnis genommen (Ö 15.1) oder von der Tagesordnung gestrichen (Ö 16, Ö 17).

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Bleibt noch ein kurzer Nachtrag zum Tagesordnungspunkt Ö 6, Fragestunde für Einwohner:

Hier ging es um die Aufkündigung von Honorarverträgen für die als Honorarkräfte beschäftigten Musiklehrer an den Musikschulen des Kreises. Die drei anwesenden Leiter der Musikschulen appellierten an die Abgeordneten, ihre dadurch entstehende prekäre Situation wahrzunehmen und im Blick zu behalten, dass für die betroffenen Schüler dieses wichtige Bildungsangebot wegfalle, wenn nicht eine für alle zufriedenstellende Lösung im Rahmen der geänderten Gesetzeslage gefunden werde.

Hans-Peter Stahl, Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion, betonte die Notwendigkeit der Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, wodurch u. a. der Gefahr von Scheinselbstständigkeiten begegnet werden solle, während er zugleich die Wichtigkeit dieses Bildungsangebotes für junge Menschen nicht übersehe.

Er sprach die herzliche Einladung zu den Sitzungen der zuständigen Fachausschüsse aus, wo hierüber intensiv beraten werden könne.

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Eine insgesamt arbeitsintensive, letzte Sitzung des Kreistags vor der Sommerpause ging damit für mich zu Ende. Die Fahrpläne des ÖPNV drängten auf vorzeitigen Abbruch, sodass mir die verbleibenden 35 Minuten (bis 20:45 Uhr) der Sitzung verloren gingen.

Später erfuhr ich von einer Diskussion zur Änderung der Geschäftsordnung des Kreistages (Ö 22). Wie schon in meinem Bericht zur Sitzung des Hauptausschusses vom 02.07.2024 ausgeführt, argwöhnte die AfD-Fraktion erneut, hierbei sei eine Lex AfD geschaffen worden, um ihre Redebeiträge einzugrenzen oder zu unterbinden. Dies wurde – so der mir zugetragene Bericht – verneint, und noch einmal bekräftigt, die Neuregelungen dienten einem reibungslosen, einwandfreien Verlauf der Kreistagssitzungen und seien nicht gegen die AfD gerichtet. Die Beschlussvorlage wurde gegen die Stimmen der AfD-Fraktion, der beiden Abgeordneten der Linken und unseres Abgeordneten der Basis-Partei mehrheitlich angenommen.

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