Verirrt im Kreistagsgebäude – Wenn Politik und Lebensrealität aufeinander prallen

Persönlicher Bericht zur Ausschusssitzung am 23.01.2024

Der Beginn der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Gleichstellung und Senioren verlief am vergangenen Dienstag nicht ganz nach Plan. Zwar ereignete sich das, wovon gleich berichtet werden soll, im Rahmen der durch den Vorsitzenden, Hans-Peter Stahl (SPD) aufgerufenen geschäftsmäßigen Tagesordnung, jedoch brachte es die gewohnt nüchtern abgehaltene Sitzung in erhebliche Unruhe.

Stahl begrüßte zunächst die Anwesenden, wünschte allen ein gutes neues Jahr und drückte seine Besorgnis über die allgemeine aber vor allem die außenpolitische Lage aus. Man hoffe daher insgesamt das Beste.

Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit des Ausschusses sowie der Festlegung der Tagesordnung ergänzte er mit dem Hinweis, dass heute kein Beschluss zu fassen sei, sondern stattdessen lediglich die verschiedenen Berichte aus der Verwaltung vorgestellt würden.

Im Tagesordnungspunkt Ö 3, Fragen der Einwohner, geriet dann die gewohnt routinierte Sitzungsordnung leicht aus der Fassung.

Zu Besuch erschienen waren eine Mutter mit ihrem 41jährigen geistig und körperlich eingeschränkten Sohn im Rollstuhl. Ein recht junger, ausländisch aussehender Begleiter des Rollstuhlfahrers ergänzte diese Besuchergruppe. Schnell wurde ersichtlich, dass sie nicht einfach als Beobachter oder interessierte Bürger dieser Ausschusssitzung beiwohnen wollten. Vielmehr erhob sich die Mutter von ihrem Platz, sobald Hans-Peter Stahl, der Ausschussvorsitzende, den Tagesordnungspunkt aufgerufen hatte.

Was diese Mutter vorzutragen hatte, war erschreckend und entlarvend zugleich, legte es doch die großen sozialen Baustellen unseres Gemeinwesens schonungslos und in ihrer beklemmenden Tragweite offen.

Seit langer Zeit suche sie nun schon nach einer geeigneten Wohnung, in der ihr Sohn eigenständig und unabhängig leben könne. Freilich brauche er Betreuung und Begleitung, aber dies alles werde ihm seit Jahren verwehrt. Zwar hat der Sohn die Hauptschule besucht, jedoch stehe er erst jetzt davor, den Abschluss zu schaffen. Dennoch werde er lediglich und wiederholt auf Behindertenwerkstätten verwiesen, statt in den regulären Arbeitsmarkt integriert zu werden. Der Ton, der ihr von Seiten der behördlichen Sachbearbeiter oft entgegenschlage, sei unerträglich, sie erlebe dort regelrecht verbale Gewalt.

Stahl hatte die Mutter noch vor ihrer Einlassung ernstlich auf den Charakter dieses Tagesordnungspunktes hingewiesen und sie gebeten, keinen langen Vortrag zu halten, aber auch diesen Ausschuss nicht für Beschwerden zu nutzen, sondern dies sei die Fragestunde, in der Bürger direkte Fragen an die Politik des Kreises richten.

Als er sie erneut darauf hinwies, fragte sie: „Was werden Sie tun? Was wird die Politik des Kreises tun, um solche undemokratischen Behandlungen zu unterbinden? Ich frage ja nicht nur, weil ich und mein Sohn persönlich betroffen sind, sondern ich frage auch für die Vielen, denen es ähnlich ergeht. Wie wollen Sie das Vertrauen der Bürger in die Demokratie stärken, wenn Bürger in den Ämtern so undemokratisch behandelt werden?“

Der Vorsitzende rutschte sichtlich nervös auf seinem Stuhl hin und her und bemerkte, dieser Fall sei sicher sehr belastend für die Mutter und ihren Sohn, dennoch könne die Kreispolitik in diesem Einzelfall wenig ausrichten. Dies auch, weil dazu die Details den Mitgliedern nicht bekannt seien, sie also schon aus diesem Grund den Fall nicht abschließend bewerten könnten, geschweige denn hier Handlungsanweisungen für die Verwaltung erlassen.

Die Frage, ob denn eine Betreuung für den Sohn beantragt sei, bejahte die Mutter, jedoch wurde dieser Antrag abgelehnt. Auch alle anderen Hilfestellungen verweigere man ihnen, man habe sich ja auch schon an Gerichte gewandt – alles ohne Erfolg. Und deswegen sei sie nun hier, gewissermaßen als letzte Hoffnung trage sie ihr Anliegen nun hier im Ausschuss der Politik vor.

Dies sei leider nicht der Ort, an dem ihr in ihrem speziellen Fall geholfen werden könne, entgegnete Stahl, dazu gebe es die entsprechenden behördlichen Stellen. Zudem riet er ihr, ihren Fall schriftlich bei den Fraktionen einzureichen, und dann müssten die Abgeordneten nach intensivem Studium aller Einzelheiten sehen, was die Politik tun könne. Die Verwaltung sei in der Pflicht, nach Recht und Gesetz vorzugehen und zu entscheiden, Politik sei da nicht weisungsbefugt.

Nach dieser Auskunft sah man den Mut der Mutter schwinden. Den Tränen nahe bedankte sie sich, hier wenigstens über ihr Anliegen sprechen gedurft zu haben, wenngleich sie resignierend feststellte, dass dies nun ihr letzter Versuch gewesen sei, ihr Anliegen zu Gehör zu bringen. Dann stand sie auf, und die drei Besucher verließen den Sitzungsraum, nachdem ihnen Hans-Peter Stahl „persönlich alles Gute“ gewünscht hatte.

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Kommentar

Am Beispiel dieser Frau und ihres behinderten Sohnes in den Räumen und vor den handelnden Akteuren der Kreispolitik wird das ganze Dilemma dieses Staates und der ihn tragenden Gesellschaft deutlich. Wie in einem Brennglas schauen wir auf das Ergebnis einer seit Jahren und Jahrzehnten zunehmenden Entwicklung der gegenseitigen Entfremdung. Bürger und Staat haben sich auseinander gelebt, „die da oben“ haben mit „denen da unten“ offenbar nichts mehr gemein.

Im Angesicht des Elends und der tragischen Lebensumstände einfacher Menschen, die offenbar in ihrer Kindheit selbst nicht einmal fundamentale Kulturtechniken wie die regelmäßige Benutzung von Wasser und Seife erlernt zu haben scheinen, obendrein Krankheit und Behinderung zu erdulden haben und auch deswegen Ausgrenzung erfahren, flüchtet man sich in den Verweis auf Gesetze und Durchführungsverordnungen der verwaltenden Bürokratie, während man das Naheliegende übersieht und die gebotene tröstende und akute Handlung unterlässt:

„Liebe Frau XXX, hier gebe ich Ihnen meine Telefonnummer, Adresse, Kontaktbüro. Oder sagen Sie mir Ihre Adresse, dann komme ich vorbei und wir schauen, was wir für Sie tun können.“

Ein mitfühlender Mensch hätte genügt – einer von ungefähr 25 Personen, die aus Politik und Verwaltung anwesend waren.

Andererseits gilt leider auch: „Wie du rufest in den Wald, so es dir entgegenschallt.“ Diesem ungeschriebenen Gesetz kann man sich schwerlich entziehen, besonders dann, wenn das Gegenüber aus vielerlei Gründen wenig Anziehendes, Gewinnendes, für sich Einnehmendes als Pro in die Begegnung einzubringen die Gabe hat.

Auch dies ist eine der Begleiterscheinungen unserer Gesellschaft, in der Biographien transgenerational immer wieder scheitern. Formen des Umgangs, Selbstreflexion oder erfolgreiches Aufarbeiten der eigenen ungünstig verlaufenen Biographie – all das, was das Miteinander so angenehm begünstigt und fördert, fehlt diesen unglücklichen Menschen. Und so nähern sie sich unbeholfen, ungeschlacht und manchmal verstörend tölpelhaft den Gutsituierten, die ihnen nun gepflegt, in feinem Zwirn und vor oder nach erfolgreicher Karriere in den erlauchten Räumen gegenüber sitzen.

Aus deren Mund klingen all die Tipps und Empfehlungen, es doch nach Gesetz und Verordnung hier oder da erneut zu versuchen, so unendlich leicht. Und diese unerhörte Leichtigkeit prallt auf jene einfachen, in den Kulturtechniken gänzlich Ungeübten – diese zwei Welten passen nicht zusammen, werden sich niemals verbinden.

Ein Dilemma und eine Tragödie.

Abschließend: Dass Hans-Peter Stahl, der Vorsitzende dieses Ausschusses, genötigt war, auf den Gang durch die Verwaltung zu verweisen, verdeutlicht aufs Neue, wie wenig Gestaltungsspielraum in der Kreispolitik vorhanden ist. Schnell stoßen die Damen und Herren aus den Parteien im tatsächlichen vollziehenden Geschehen des Kreises und seiner Verwaltung an die Grenzen ihrer Gestaltungsräume. So bleiben ihnen zuletzt einzig ihre in den ungezählten Stunden der Ausschusssitzungen produzierten und protokollierten Worte.

Der Bürger aber sucht in diesen Räumen vergeblich Hilfe, Beistand, Trost oder Unterstützung. Was am Ende bleibt, sind Worthülsen und der fahle Beigeschmack, gegen Wände gesprochen zu haben.

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Tagesordnungspunkt Ö 6 sah den Bericht der Schuldnerberatung vor. Hierzu wurde im Wesentlichen der Inhalt des PDF-Dokuments vorgetragen, dass hier im ALLRIS-Kalender oben rechts aufgerufen werden kann. Dort sind Zahlen, Daten und Fakten zu den unterschiedlichen Personengruppen, den Ursachen und den Beratungszeiten und -arten (Telefon, persönliches Gespräch, Brief oder Mail) und auch zu den Gründen zu finden, weshalb Beratungen nicht fortgeführt werden oder abgebrochen wurden (Scham vor engsten Angehörigen, Freunden etc.).

Zu den Ursachen der Überschuldung gehören Arbeitslosigkeit, Bürgschaften, und vor allem Krankheit als häufigste Ursache für Insolvenz (teure Medikamente, chronische Erkrankungen, z. B. Burnout und Depressionen, die sehr häufig zu Arbeitsunfähigkeit führen). Arbeitslosigkeit und -unfähigkeit führten dann im Endergebnis häufig auch zu Wohnungsverlusten.

Unser Abgeordneter Juan Gruben erkundigte sich, ob man angesichts des allgegenwärtigen Fachkräftemangels denn auch Rentner kontaktiert habe, unter denen es doch bestimmt geeignete Kandidaten gebe. Dies bejahte die Sachbearbeiterin, allerdings wären die von diesem Personenkreis vorgetragenen Wünsche hinsichtlich der Zeit, die sie jeweils zur Verfügung stellen könnten oder der oft unterschiedlichen, unregelmäßigen Wochentage, an denen sie einsatzbereit wären, wenig verlässlich und kaum mit den Erfordernissen der Beratungsstelle in Einklang zu bringen.

Ein anderer Abgeordneter wollte wissen: „Welchen Handlungsspielraum haben Sie bei den Beratungen? Wie weit können Sie den Schuldnern entgegenkommen, z. B.bei Räumungsklagen?“ Da sei der Wirkrahmen sehr begrenzt, weil Vermieter sich heutzutage wenig verhandlungsbereit zeigten. Oft würden Räumungsklagen ohne Zögern eingereicht und rigoros vollzogen.

Schließlich fragte ein Abgeordneter, wie denn die Beratungsleiterinnen mit der Belastung umgingen. „Was macht das mit Ihnen, immer wieder diese betrüblichen Geschichten zu hören und zu sehen?“ Insgesamt gehe man mit diesen Dingen sehr sachlich um, so die Beratungsleiterin. „Wir trennen da schon sehr sorgfältig zwischen der Tätigkeit und unserer Privatsphäre, weil wir die Fälle nicht mit nach Hause nehmen. Manchmal, besonders wenn Kinder betroffen sind, denkt man zuhause doch noch länger darüber nach. Aber in der Regel grenzen wir uns von den Fällen dann doch ab.“

Insgesamt sei aber die Vermeidung von Überschuldung oder Privatinsolvenz die wichtigste Aufgabe der Beratung. Prävention müsse noch weit vor der Überschuldung beginnen. Und hier müsse man auch ganz besonders bei der Jugend ansetzen und sie im verantwortungsvollen Umgang mit Geld ertüchtigen.

Auf Notlagen reagiere man unterschiedlich – akute Fälle werden sofort bearbeitet, die anderen haben eine Wartezeit zwischen 3 und 4 Wochen.

Zur Rückfallquote konnten die beiden Damen keine verlässliche Auskunft geben, „aber wir haben immer wieder Fälle, da wissen wir schon sofort: Die kommen wieder.“

Und ganz allgemein wurde auch in der Schuldnerberatung ein Mangel an qualifizierten Kräften betont.

Schließlich musste noch einmal der Unterschied zwischen Schuldnerberatung und Insolvenzberatung erklärt werden:

Die Schuldnerberatung geht der Insolvenzberatung voraus, wird vom Kreis finanziert, dauert länger, ist intensiver und soll möglichst die Insolvenz vermeiden helfen. Bei der Schuldnerberatung wird auch noch mit den Gläubigern verhandelt und nach einer Lösung für beide gesucht.

Bei der vom Land finanzierten Insolvenzberatung liegt das Kind bereits im Brunnen. Sie verläuft kürzer, straffer, hier sind die Fronten bereits geklärt, und ihre Zielsetzung ist klar umrissen: Ist der Antrag auf Privatinsolvenz gestellt, ist der Schuldner nach drei Jahren schuldenfrei und auch der Schufa-Eintrag wird gelöscht, die Gläubiger erhalten keine weiteren Zahlungen.

Kommen ausländische Klienten zur Beratung, haben sie, sofern sie kein deutsch sprechen, meist einen Dolmetscher dabei. Kinder werden als Dolmetscher nicht zugelassen.

Bei der Frage, warum es wenig bis keine Männer als Berater gibt, wussten die Damen so recht keine endgültig erklärende Antwort zu geben, betonten aber, dass sie sich männliche Kollegen ausdrücklich wünschten.

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TOP Ö 7, Bericht Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen

Auch in diesem Bereich ächzt man unter der Verschärfung und Verlagerung der Probleme in Teilbereichen – aber auch hier wurde (wieder einmal) ‚der Elefant im Raum‘ (massenhafte unkontrollierte Zuwanderung) nicht oder nur vage und verschämt angesprochen. Besonders in den letzten zwei Jahren hätten sich die in dem Bericht aufgelisteten Punkte als besonders dringlich gezeigt.

Da sich meine Aufzeichnungen annähernd mit dem schriftlichen Bericht der Beratungsstelle decken, erlaube ich mir, die einzelnen Punkte des Berichts aus dem Originaldokument wörtlich zu zitieren – inklusive der, auch durch eilfertiges, unreflektiertes Gendern entstandenen Kuriositäten und Fehler der Orthografie.

Das Original ist auch in diesem Fall im ALLRIS-Kalender und dort entsprechend in den oben rechts anzuklickenden PDF-Dateien zu finden.

Hier nun der Bericht:

Bericht Sozialausschuss 23.01.2024

Wir danken dem Keis Pinneberg für die finanzielle Unterstützung der Schwangerenberatungsstellen, mit deren Hilfe wir die vom Land SH verfügten Stellen aufstocken können. Insbesondere die Entscheidung, die Kosten für Verhütungsmittel für Menschen ohne bzw. mit geringem Einkommen zu übernehmen, hat für diesen Personenkreis zu mehr Selbstbestimmung bei der Familienplanung und zur Entlastung des monatlichen Einkommens geführt.

Auch wenn die Themenvielfalt in der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung immer ein breites Spektrum abbildet, folgende Punkte haben sich n den letzten 2 Jahren als besonders dringlich gezeigt:

  • Die Sätze für die Erstausstattung beim Jobcenter (€ 480,– Erstausstattung + € 135,– Schwangerschaftsbekleidung) gelten seit 07.11.2012 und wurden seitdem nicht angepasst. Während in anderen Kreisen Schleswig-Holsteins im letzten Jahr bereits deutliche Anpassungen aufgrund der seit Jahren steigenden und in den letzten 2 Jahren deutlich gestiegenen Inflationsraten vorgenommen wurden.
  • Die Problemlagen der Klient*innen haben sich verändert und führen zu längeren Beratungszeiten bzw. zu vermehrten Folgeberatungen. Insbesondere die Wohnungsnot und die Betreuungssituation bringen (werdende) Eltern immer wieder in schwierige Situationen. Auch der Umgang mit dem Kitaportal ist kompliziert. Für Eltern ist es nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien die Betreuungsplätze verteilt werden (Reihenfolge Anmeldung Kitaportal, Entscheidungsfreiheit der Kitas, …)
  • Der vom Bund bereitgestellte telefonische Dolmetschertool hat Entlastung in die Beratungen mit Migrant*innen gebracht, da bei Sprachproblemen sofort einE Dolmetscher*in hinzugezogen werden konnte. Dadurch wurden Folgegespräche vermieden, die jetzt wieder angesetzt werden, um dann einE Sprachmittler*in hinzuzuziehen.
  • Der Fachkräftemangel ist auch in der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung angekommen. Vakante Stellen können nicht mehr sofort besetzt werden, was zu einer erheblichen Mehrbelastung für das vorhandene Personal führt.

Quelle: ALLRIS, s. oben.

Zur Erläuterung:

Beratung § 5 bedeutet, dass nach dieser Beratung der zum Schwangerschaftsabbruch erforderliche Beratungsschein ausgestellt wird.

Die Beratung § 2 erfolgt ohne die Ausfertigung dieses Scheins.

Herr Schroer (AfD-Fraktion) wollte wissen, wie viele tatsächliche Schwangerschaftsabbrüche es nach der Beratung § 5 gebe. Darüber würde man keinerlei Statistik führen, hieß es, aber die Mehrzahl der Schwangeren, die sich nach dieser Beratung dafür entschieden, hatten sich zu diesem Schritt bereits zuvor entschlossen.

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Im Tagesordnungspunkt Ö 8 stellte die Sachbearbeiterin des Fachdienstes Soziales den Bericht Umsetzung Konzept Fachkräftegewinnung Pflege ausführlich vor. Hierzu enthält die Webseite der Kreisverwaltung (ALLRIS), eine umfangreiche Sammlung an Dokumenten, wie etwa:

– den Zwischenbericht Koordination Fachkräftegewinnung Pflege,

– das Konzept Koordination Fachkräftegewinnung Pflege,

– die Pflegstatistik 2023,2019,

– den Fokusbericht Sozialplanung oder auch

– den Fachbericht Pflege 2022.

Unser Abgeordneter Juan Gruben konzentrierte sich in seiner Wortmeldung zunächst auf die Pflegestatistik und stellte die Zahlen der Leistungsempfänger und der Leistungserbringer (dem Pflegepersonal) in einem Vergleich zwischen den Jahren 2009 und 2021 einander gegenüber.

Hier nun die Zahlen:

2009 betrug die Zahl der Leistungsempfänger insgesamt 79.507, im Jahr 2021 hatte sich die Zahl auf insgesamt 158.546 nahezu verdoppelt.

Gleichzeitig stieg die Zahl des Pflegepersonals von 37.339 in 2009 auf 47.499 in 2021, dies ist lediglich eine Steigerung von 27%.

Dieses gestiegene Missverhältnis von Pflegebedürftigen zu Pflegenden zu Ungunsten der geleisteten Pflege sei wohl auch nicht zuletzt auf die geforderten gestiegenen Wirtschaftlichkeitsziele zurückzuführen. Wenn aber die Gesundheitsversorgung mehr und mehr der Rendite unterstellt werde, so Gruben, „haben wir ein Problem“.

Dann sprach er das Problem des Fachkräftemangels an. Dieser solle nun durch die Zuwanderung wenigstens abgemildert werden. Stattdessen sei es zielführender, die vorhandenen Kapazitäten im eigenen Land wiederzubeleben. Viele Pflegekräfte sind aus der Pflege ausgeschieden, und viele davon aus Gründen des teils erschreckenden Arbeitsumfeldes. Hierzu zitierte Juan Gruben aus dem Konzept Koordination Fachkräftegewinnung Pflege der Kreisverwaltung.

Zitat:

Die Konstatierte Aktion Pflege identifizierte bereits 2019 die gezielte Förderung und Unterstützung des beruflichen Wiedereinstiegs ausgebildeter Pflegefachkräfte als ein wichtiges und lohnendes Handlungsfeld (KAP 2019, S. 54f). Spätestens seit Erscheinen der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ im April 2022, […], gewinnt das Thema Rückgewinnung von Pflegekräften an Aufmerksamkeit. […] Das Potenzial dieser Zielgruppe scheint hoch, bei vorsichtiger Interpretation der Aussagen können sich 300.000 und im optimistischen Szenario sogar bis zu 660.000 Vollzeitpflegekräfte den Wiedereinstieg oder Stundenerhöhung vorstellen, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen. Dazu gehören […] eine Personaldecke, die sich am Bedarf der Pflegebedürftigen ausrichtet, mehr Zeit für Zuwendung, eine bessere Entlohnung, verbindliche Dienstpläne, verlässliche Arbeitszeiten und respektvolle Vorgesetzte. Womöglich sprechen wir nicht über einen Mangel an qualifiziertem Pflegefachpersonal, sondern über einen Mangel an Beschäftigten, die unter den vorherrschenden Arbeitsbedingungen bereit sind, im Pflegeberuf zu arbeiten.

Arbeitgeberseitige und politische Bemühungen sollten konsequent darauf ausgerichtet werden, den Trend aus schlechter Personalausstattung, problematischen Arbeitsbedingungen und dem damit einhergehenden Rückzug der Pflegekräfte aus dem Beruf umzukehren, um das Potenzial, welches in der Rückgewinnung von Pflegekräften steckt, zu nutzen. Diese Pflegefachpersonen verfügen in aller Regel über mehrjährige Berufserfahrung im deutschen Versorgungssystem und müssen nicht ressourcenintensiv aus dem Ausland rekrutiert, qualifiziert und integriert werden.

So weit die Ausführungen.

Herr Schroer (AfD-Fraktion) und andere Abgeordnete erwähnten weitere Gründe für den Fachkräftemangel. Dies seien Alter und Abwanderung. Besonders die Abwanderung deutscher Fachkräfte sei ein Problem. So gebe es inzwischen Länder, in denen der Anteil deutscher Fachkräfte bis zu 90% ausmache.

Erneut wurden die schlechten Rahmenbedingungen in der Pflege erwähnt, die zu einer Verschlechterung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit betrügen.

Deutschland habe es versäumt, attraktive Bedingungen zu schaffen und zu erhalten. Mehr Personal könnte hier Abhilfe schaffen.

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Auffallend war, dass immer wieder die Anwerbung von Nachwuchskräften aus dem Ausland thematisiert wurde. Genannt wurden u. a. Indien, Iran, Rumänien, Albanien und Mexiko. Dabei scheint man sich nicht darum zu kümmern, was die konstante Abwerbung junger, tüchtiger Kräfte in den betreffenden Ländern an Folgeschäden verursacht (ihnen fehlen dann ja jeweils die qualifizierten Kräfte in ihren Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen). Und zum anderen bleibt ein konstant hoher Zuzug auch kulturfremder junger Menschen in der aufnehmenden Gesellschaft doch auch nicht ohne spürbare Folgewirkungen. All dies möchte man von Seiten der Politik aber lieber nicht thematisieren, zu groß scheint die Not aus dem Fehlen qualifizierten Pflegepersonals inzwischen geworden zu sein.

Und mit diesem Problem steht Deutschland offenbar nicht allein da, denn – so hieß es in einem Schlagwort – „Die ganze Welt sucht Fachkräfte.“

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Um diesen Bericht, der bislang die wesentlichen Diskussionsbeiträge der Schwerpunktthemen dieser Ausschusssitzung abgebildet hat, nicht ausufern zu lassen, verweise ich für die noch eingehend behandelten Tagesordnungspunkte Ö 9 (Ö 10 entfiel), Ö 12 und Ö 13 auf die im ALLRIS-Kalender aufzufindende Gesamt-Tagesordnung und die dort hinterlegten Dateien (Bericht der Fokusgruppe Pflege und Altenhilfe, Ö 9, • Ablaufplan Handlungskonzept Integration Kreis Pinneberg, Ö 12, • Neuvergabe Schuldnerberatung zum Jahr 2025, Ö 13). Wesentlich über die dort schriftlich festgehaltenen Informationen wurde in dieser Sitzung durch die zuständigen Sachbearbeiter der Verwaltung nichts vorgetragen, nicht zuletzt auch deswegen, weil nun der Vorsitzende auf eine nunmehr rasche Beendigung der recht langen Sitzung hinwirkte.

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